Kleines Nachtgespenst
Am Firmament zur Mitternacht
zeigt sich in seiner ganzen Pracht
der Vollmond hell im Lichtgewand;
gar viel schon sah der Erdtrabant.
Den Mond, behäbig und verschwiegen,
seit jeher alle Menschen lieben.
Er scheint in eines jeden Haus,
und plaudert kein Geheimnis aus.
In dieser lauen Nacht im Mai
liegt auf dem Bette die Marei.
das Fenster ist geöffnet weit;
sie klagt dem Mond ihr Herzeleid.
Ihr Bräutigam, der Heribert,
hat sie bislang so hoch verehrt,
doch nun das Paar ist zerstritten,
da hilft nicht Drohen noch Bitten.
Es waren banale Dinge,
bis just ihre E h e r i n g e
erbitterten Streit entfachten
und Gegner aus ihnen machten.
Auf jenem Fenstersims drapiert,
das Hochzeitsdatum eingraviert,
da lagen – wie andre Dinge
noch gestern die güldnen Ringe.
„Du töricht‘ Weib!“ schrie nun der Mann
und griff sie hart mit Worten an,
„Du hast die Ringe entwendet,
und sie womöglich verpfändet!“
Zerknirscht beteuerte die Braut:
„Die Ringe wurden uns geklaut!
Sie funkelten noch vor sich hin,
als der Mond des Nachts drauf schien.
Doch heut beim ersten Hahnenschrei
war’s mit Gefunkel schon vorbei,
da stand die Samtschatulle leer –
Bestohlen hat uns irgendwer!“
„Das kann ja überhaupt nicht sein!“
warf Heribert mit Argwohn ein.
„Die Türe war doch verschlossen!“
Viel Tränen dem Mädchen flossen.
„Hör auf zu heulen, dumme Gans,
was soll der ganze Firlefanz?
Ich glaub‘ nicht mehr an unser Glück,
zieh die Verlobung jetzt zurück!
„Bleib, Heribert, bleib noch zur Nacht,
bis ich die Augen zugemacht!“
schluchzte seine Braut voll Bangen.
War das denn nicht auch sein Verlangen?
Der Mond, der wusste, was gescheh’n:,
den Dieb hat er entschwinden seh’n.
Das Glitzernde am Fenster dort
die Elster trug im Schnabel fort.
Hoch in der Kastanie Wipfel
lagen schon – das war der Gipfel –
gar gut verdeckt von dem Geäst
viel Schmuckstücke in ihrem Nest.
Den Wunsch zu helfen stark verspürt
der Mond, den Mareis Kummer rührt.
Er überlegt sich einen Plan,
wie er die Ehe retten kann.
Dieweil das Mädchen liegt und weint,
der Mond ins Vogelnest rein scheint.
Gezielt beamt er den stärksten Strahl
auf Mareis Ring, schön Mal um Mal.
Das reflektierte Mondeslicht.
behagt der dreisten Elster nicht;
von dem grellen Strahl geblendet,
fürchtet sie, dass sie verendet.
Vom schlecht‘ Gewissen überführt
den Weg zur Buße sie drum kürt,
mit dem Schnabel packt die Ringe,
dass zurück sie diese bringe.
Den Weg erleuchtet ihr der Mond
just dort hin, wo Mareien wohnt.
Die Diebin flugs durchs Fenster schlüpft
und auf dem kalten Sims rum hüpft.
Sie balanciert die Ringe keck
bis zur Schatulle in dem Eck.
Da tönt es plötzlich „Klingeling!“
Am Boden kullert Mareis Ring.
Der Heribert vom Schlaf erwacht;
das Nachtgespenst davon sich macht.
„Die Ringe! Hei, wie wundersam!“
ruft der entlobte Bräutigam.
„Ach Marei, du bist ohne Schuld,
verzeih mir meine Ungeduld!“
Und die Moral von der Geschicht?
Vertraue einer Elster nicht!