Vollmond am Friedhof

Silbern und fahl wandert sein Licht über die Gräber. Ich habe mich hineingeschlichen: an den Ort der ruhenden Seelen. Ein Ort von unglaublicher Stille.

Ich stehe vor meinem Grab. Nicht meinem eigenen, sondern vor Deinem Grab, mein Liebster. Es zieht mich dorthin. Gerade in dieser Nacht, in der Du von mir gegangen bist, vor einem Jahr. So lebendig, wie Deine Bilder vor meinen Augen sind, so tot bist Du und unser gemeinsames Leben. Das viel zu kurz war. Ich wünschte ich könnte Dich hören in Deiner Welt, könnte nur ein Wort von Deinen Lippen ablesen, nur einen Lufthauch aus Deinem Mund spüren, nur einen Deiner Gedanken in meinen Sinnen empfinden … stattdessen Stille und diese nichtendenwollende Traurigkeit, die in meinem Inneren klingt wie der nichtendenwollende Klang einer großen Glocke. Und ich fühle wieder diesen letzten Kuss, den ich Dir gab, als Du bereits gegangen warst. Kühl und samtweich Deine Lippen. Wissend, dass dies unsere letzte zärtliche Berührung sein würde in dieser Welt.

Ich sitze an Deinem Stein, der hellblau-weißlich im Licht des Vollmondes schimmert. Kalt und glatt. Ich streiche leicht darüber mit meiner Hand. Fahre mit den Fingern entlang in den Buchstaben Deines Namens, der nun nicht mehr klingt in meiner Stimme. Nur noch im Geist oder in Träumen.

Ich wünsche mir, eines Tages ganz voller Freude zu sein. An Dich denken zu können ohne Tränen in den Augen. Zu wissen, dass wir uns wiedersehen in der anderen Welt. Sicher zu sein, dass es gut ist, so wie es ist und gewesen ist. Und zu begreifen, was es bedeutet, zu leben und zu sterben.

Und ich schaue zum Vollmond und es ist mir, als wärst Du bei mir für einen Moment. Erleichterung für einen Moment. Umgeben von der Schwärze der Nacht. Meiner Nacht.

Marianne H.

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