Papetti

Liebe Lucienne,
nun stell dir das einmal vor:
Es ist wohl etwas über einen Monat her, da klopfte es draußen an das Fenster meines Arbeitszimmers, in dem immer eine Lampe an ist. Das sieht von draußen ganz gemütlich und bewohnt aus. Vor allem, wenn die Vorhänge schon zugezogen sind und der Mond am Himmel steht. Wenn der Mond voll ist, so richtig dick und rund, und es ist gegen Mitternacht, dann kann er sich in meinem Fenster sehen.

Und gerade so eine Nacht war es. Schnee war gefallen und es war besonders winterlich da draußen. An den oberen Fensterkanten hingen lange Eiszapfen und nur die Tatsache, dass mein Zimmer beheizt ist, verhinderte die Bildung von Eisblumen an den Scheiben. Nun, ich wohne im Parterre, so wie du, und da kann ja womöglich ein Nachbar draußen vor dem Fenster stehen, der seinen Schlüssel verloren hat und nun die Nacht nicht in der Kälte verbringen will. Was du sicher verstehen kannst. Als es erneut klopfte, und nun ganz schön kräftig, hab ich die Vorhänge einen gaaaaanz kleinen Spalt – vielleicht so breit – aufgemacht und rausgeluschert. Da sitzt da mitten in dem Vollmondspiegelbild auf der schrägen Fensterbank, die der Vermieter gerade mit einem Edelstahlblech verziert hat und die deshalb ganz glatt ist – vor allem bei diesem Schneefall – also, kurz gesagt, sitzt da zitternd vor Kälte, so ein kleiner Kerl und schaut mich mit großen Augen, die in allen Farben des Regenbogens leuchten, vorwurfsvoll an. Weil der Vollmond mich blendete, konnte ich den Lütten gar nicht genau erkennen, also habe ich die Vorhänge ganz aufgemacht und eine Leselampe geholt. So eine mit einem Gelenk zum drehen. Damit hab ich ihn angeleuchtet und direkt in Augenschein genommen. Da hab ich den Kleinen dann ganz sehen können. Er hatte eine ganz winzige spitze Nase, die nach oben gebogen war und seine Lippen waren blaugefroren.
Ich schwöre dir, so was hast du noch nie gesehen. Die Haare standen ihm um den Kopf herum ab (womöglich waren sie schon gefroren). Ich weiß ja nicht, wie lange er da schon gehockt hat, denn ich bin längere Zeit gar nicht in meinem Zimmer gewesen.
Er sah mich so flehend an, dass ich nicht anders konnte und das Fenster geöffnet habe.

Das war vielleicht ein Ding: Ohne, dass ich es irgendwie richtig gesehen habe, war er – schwupp! – in meinem Zimmer und sah sich um. Seine Ohren waren ganz klein und spitz. Ich meine, es hätte auch komisch ausgesehen, wenn er große Ohren gehabt hätte. Denn er selbst ging mir gerade mal bis zum Knie. Er hüpfte und sprang herum, griff hier und da hin, begrabschte alles, was in seiner Nähe war, und wenn ich ihn nicht an einem seiner dünnen Ärmchen festgehalten hätte, in meinem Zimmer hätte vermutlich nichts mehr aufeinander gestanden.
Ich fand es nun eigentlich ziemlich unhöflich, dass er noch keinen Gruß gesagt hatte, geschweige denn, seinen Namen und sein Anliegen womöglich.
Aber als ob er Gedanken lesen konnte, sprang er auf mein Sofa und machte es sich dort ganz gemütlich. Er schnappte sich ein Kissen, das fast so groß war wie er selbst und deckte sich damit zu. Das, denke ich, war in jedem Fall wirklich notwendig, weil der Kleine Zeugs anhatte, das trägst du nicht mal im Sommer, wenn es regnet.
Es waren nicht nur seine unbeschreiblich kupfernen Haare, die immer noch spitz um den Kopf herum abstanden, und der Blick aus seinen regenbogenfarbenen Augen, die mich so verwundert schauen ließen – auch das Zeug, was er trug, war – vor allem für diese Jahreszeit – sehr seltsam. Ein langes dünnes Hemd mit nur einem Träger auf der rechten Seite, der linke hing abgerissen herunter, schlotterte ihm im den dürren Leib. Das Hemd hatte viele wohl ehemals rote Punkte und ein paar grüne Streifen, aber es war so ausgeblichen, dass es bestimmt mehr Jahre gesehen hatte, als ich am Leben bin. Wette ich. Auch seine gerade über das Knie reichende Hose sah nicht besser aus. Die Farbe, die sie früher einmal gehabt hatte, ließ sich nur schwer bestimmen; vielleicht ein Violett oder Moosgrün oder was ganz anderes. Um noch eines drauf zu setzen, war er BARFUß. Das musst du dir mal vorstellen – ein barfüßiger kleiner magerer Kerl undefinierbarer Herkunft im eisigen Hamburger Winter.
Ich glaub, ich habe ihn sehr angestarrt. Er starrte zurück und fragte dann:

Kriegt man hier auch was zu essen?

Sag selbst, ist das wohl eine Begrüßungsfrage?
Ich muss so verdattert gewesen sein, dass ich sofort ein schlechtes Gewissen bekam von wegen fehlender Gastfreundschaft und so. Also fiel mir nur der dämliche Satz ein:

Was möchtest du denn?

Falsche Frage, sagte er, wenn du klug wärest, würdest du es wissen.

Ich gebe es nicht gern zu, aber wirklich – so klug bin ich nicht. Tut mir leid. Ich hab dich noch nie gesehen. Ich weiß nicht, wie du heißt, wo du herkommst, weshalb zu mir und was du so isst.

Er sah fast beleidigt aus. Und sagte in einem Brustton des Selbstbewusstseins:

Mein Name ist Papetti. Ich habe mir dein Zimmer ausgesucht, weil der große Mond mir das Zimmer gezeigt hat. Kein besonderer Anlass. Ich komme von weit her und bin immer auf der Suche nach Essen.

Na, prost Mahlzeit, dachte ich. Und musste mir dann doch das Lachen verkneifen. Was für ein komischer Name. Ach, der ganze kleine Kerl war schon komisch.
Also gut, Papetti, antwortete ich, und was darf ich dir bringen?

Du bist dämlicher als ich dachte, antwortete er. Was nun wirklich sehr unhöflich war. Aber ich überlegte, dass da, wo er herkommt, das Wort „dämlich“ vielleicht eine ganz andere Bedeutung hat. Ich wollte es ihm noch nicht übel nehmen.

Ich sehe schon, setzte er hinzu, indem er mich mit seinen regenbogenfarbenen großen Augen, die in schierer Verzweiflung hin und her zu rollen schienen, ansah, du weißt es wirklich nicht. Ich esse Papier, wie ihr es nennt und ich sehe, du hast hier jede Menge davon. Nun bekam ich aber einen Riesenschreck, der meinen unzähligen Büchern in ihren Regalen galt.

Weißt du, sagte ich, das Papier, was hier in diesem Zimmer ist, ist wirklich nicht zum essen gedacht. Wenn du tatsächlich Papier essen willst – gleich will ich dir was holen.

Offensichtlich war er damit einverstanden und ich ging in die kleine Kammer, wo wir das Altpapier aufbewahren. Ich schleppte eine Zeitung heran, die so in etwa 20 Seiten dick war.
Ich sage dir, du hättest deinen Augen nicht getraut. Die Zeitung war mit einem einzigen Happs in seinem Mund verschwunden. Er kaute eine Weile, schluckte und meinte dann:

Ganz gut. Mehr davon wäre besser.

Ich brachte ihm dieses Mal eine Sonnabend-Ausgabe unserer Tageszeitung mit einer Dicke von mindestens 200 Seiten. Gut, er hatte ein wenig Mühe, sie sich in den doch relativ kleinen Mund zu stopfen – bei dieser Gelegenheit konnte ich eine Zahnreihe sehen, einer wie der andere, alle spitz und in regelmäßigen Abständen. Aber weg war die Zeitung nach ein paar Kaubewegungen und einem Schlucken. Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie er das ohne jeden Tropfen Wasser hinunter würgen konnte.

Er schaute mich erwartungsvoll an.

Nun?

Was? fragte ich zurück.

Mehr davon, meinte er, das war doch hoffentlich nicht alles?

Ich seufzte und fragte, wann er denn satt sei?

Satt? Was ist das?

Upps! Na, das konnte ja heiter werden.

Hör mal, sagte ich, ich habe zwar noch eine Menge von dem Zeugs liegen, aber irgendwann ist das aufgefuttert. Was machen wir dann?

Dann schlafe ich irgendwann, sagte er ganz lapidar.

Ich also wieder raus und neue Zeitungen geholt. Er sollte schon sehen – davon hatte ich genug liegen. Stapelweise. Und ein Gutes hatte das ja auch. Ich brauchte keinen Gedanken mehr an die Entsorgung zu verschwenden.
Für den jetzt angeschleppten Stapel – so ca. 20 Zeitungen der beschriebenen Art – brauchte er wirklich einige Minuten.
Und dann klappten zu meiner Erleichterung seine Augen zu, er fiel zur Seite und fing sofort an, in kurzen Abständen tief zu atmen. Immer ein gutes Zeichen, dass der Schlaf gekommen ist.

*

Es war rührend und beängstigend zugleich, wie er da lag und schlief. Aber ich war mir sicher, irgendwann würde er wieder aufwachen und dann hätte er garantiert wieder Appetit. Aber das wäre dann ein neuer Tag. Ich besorgte eine Decke und legte sie über ihn, damit er warm eingemummelt schlafen könne.Dann überlegte ich, was zu tun sei. Sollte ich vielleicht die Presse informieren? Diesen Gedanken legte ich sofort wieder zu anderen, die ich nicht in die Tat umsetzen würde. Ich stellte mir gleich das Szenario hier zu Hause vor. Mit Fotografen und Journalisten und jeder würde ihn sehen wollen, den Papetti. Papetti? Naja, eigentlich müsste er Paper heißen, wenn man seine Vorliebe fürs Essen von Papier als Wortspiel einbeziehen wollte.
Ich fragte mich auch, ob er bleiben würde oder ob es ihn am nächsten Tag in ein anderes Zimmer triebe. Ich war in meinen Gefühlen ganz schön hin und her gerissen. Einerseits fand ich ihn sehr interessant, das muss ich schon sagen. So einen eigenartigen kleinen Kerl kriegt man schließlich nicht alle Tage zu Gesicht, oder? Andererseits – wenn er blieb – musste ich mir wirklich überlegen, wie ich Futter, `tschuldigung, ich meine natürlich Essen, für ihn beschaffen könne.
Nun trifft es sich gut, dass wir an der Ecke der Straße einen Papiercontainer haben, in den die Leute massenweise ihre alten Zeitungen und anderes stopfen. Und sie stopfen immer soviel hinein, dass der überquillt. Und wenn er voll ist, scheuen sie sich nicht, ihr Altpapier und Kartons auch vor, hinter und neben dem Container zu stapeln. Von dieser Warte aus betrachtet, wäre mein neuer kleiner Mitbewohner die Lösung schlechthin. Aber das waren Dinge, über die wollte ich mir näher Gedanken machen, wenn mein eigener Vorrat erschöpft wäre.
Ich ging nach einem weiteren Blick auf Papetti leise aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mir, noch erfüllt von dem Geschehen.

*

In der folgenden Nacht schlief ich ganz schlecht. Ich wurde ständig wach und fühlte mich gezwungen, nach Papetti zu sehen. Aber jedes Mal, wenn ich leise die Tür öffnete, lag er und schlief tief und fest.
Schließlich wachte ich wie zerschlagen von dem lauten fröhlichen „dumdidum…“ meines Radio-Weckers auf. Ich ging ins Bad und unter die Dusche, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass Papetti noch nicht wach war und demzufolge auch noch keinen Hunger ankündigte.
Als ich schließlich soweit war, dass ich nur noch in meinen dicken Mantel schlüpfen musste, um mich auf den Arbeitsweg zu machen, zögerte ich doch kurz. Konnte ich Papetti einfach so allein lassen? Wie lange schliefen kleine Kerls wie er? Das wusste ich wirklich nicht und hätte es vielleicht am Abend vorher fragen sollen. Guter Rat war teuer. Ich lugte noch einmal in mein Zimmer und siehe da! Papetti war wach geworden und – das habe ich gerade noch sehen können – sich als erstes ein paar meiner Comics in den Mund gestopft. Ich war ziemlich enttäuscht von ihm. Hatte ich ihm nicht ausdrücklich erklärt, dass die Sachen in meinem Zimmer nicht zum Essen sind?
Ich sagte ihm dies etwas schroff, was mir gleich wieder leid tat.
Er war erstaunt.

Diese leckeren bunten Zettel sind nicht zum essen?

Nein, diese leckeren bunten Zettel sind meine alten Comics.

Aber was soll ich dann essen?

Ich beschloss, ihm meinen Altpapiervorrat zu zeigen.

Komm mit.

Und sofort sprang und hüpfte er neben mir hier, vor mir und um mich herum, dass ich eigentlich gar nicht mehr wusste, wo er war. Er bewegte sich eher wie eine auseinanderschnellende Sprungfeder, als ein Wesen auf zwei Beinen.

In der Kammer juchzte er laut auf und griff sich sofort – und wenn ich sage, sofort, meine ich sofort – den nächstliegenden Stapel Zeitungen, stopfte sie in seinen Mund und – schwupp! – weg waren sie. Der nächste Stapel verschwand genauso schnell und mir wurde Angst und Bange für den kläglichen Rest.

Hör mal! sagte ich, ich muss die Wohnung für ein paar Stunden verlassen. Ich verspreche dir, dass du jede Menge Papier bekommst, wenn ich wieder zurück bin. Dieses hier in der Kammer kannst du gern aufessen, aber kein anderes in der Wohnung liegendes Papier, keine Bücher oder Comics, nichts vom Tisch und nichts aus den Regalen (Oh, ja, ich war sehr genau, was das anbelangte). Haben wir uns verstanden?

Natürlich, antwortete er mir, ich bin doch nicht taub.

Er schnappte sich den nächsten Stapel Zeitungen und verspeiste ihn. Ich holte tief Luft.

Na gut, sagte ich, also, ich geh jetzt. Und ich schaute ihn an.

Auf was wartest du, wenn du doch gehen willst? fragte er mich.

Darauf wusste ich keine Antwort und verließ ihn, nicht, ohne einen gewissen Druck im Magen, der mir nichts Gutes verhieß. Als ich mich noch einmal zu ihm umdrehte, griff er sich gerade den vorletzten Stapel Zeitungen, um ihn in seinen Mund zu stopfen..

*

Im Büro konnte ich verständlicher Weise gar nicht recht was anfangen. Immer kreisten meine Gedanken um Papetti und meine papierenen Dinge, und da beide an einem Ort waren, war ich ziemlich beunruhigt.
Ich beschloss, sehr früh Feierabend zu machen und stapfte noch im Hellen durch den frisch gefallenen Schnee nach Hause. Je näher ich meiner Wohnung kam, desto schneller wurden meine Schritte. Ich wusste, es würde nichts in Ordnung sein. Ganz im Inneren hatte ich die Hoffnung, dass Papetti – ähnlich wie am Abend zuvor – in einen Tiefschlaf verfallen war. Aber meine Hoffnung trog.
Ich hatte kaum die Wohnungstür geöffnet, als mich schon der Schlag traf:
Meine Beine bewegten sich wie im Traum durch die Räume. Noch in Mantel und Winterstiefeln, Mütze auf und Handschuhe an, nahm ich wahr, wie verändert doch meine Wohnung im Gegensatz zum frühen Morgen aussah. Es gab keine Tapeten mehr an den Wänden, meine Poster waren verschwunden, mein Kalender und mein Jahresplaner. Alles, was mein Heim wandmäßig geziert und aus Papier hergestellt worden war, alles, was ich in jahrelanger lieber Mühe mir aufgebaut hatte – es war verschwunden. Hier und da lagen Schnipsel herum, ja, aber eben nur winzig kleine Schnipsel. Nichts Zusammen-hängendes, in keiner Weise. Als ich dann schließlich in meinem Arbeitszimmer ankam, dem Zimmer, in dem alles seinen Anfang genommen hatte, mochte ich kaum die Tür öffnen. Mein ungutes Gefühl hatte mich nicht betrogen. Auch hier gab es keine Tapete mehr an den Wänden. Der schöne herunterhängende Streifen mit den wichtigen Terminen neben meinem Schreibtisch war ebenso verschwunden wie eine Zierleiste aus Papierspitzen, die ich am letzten Weihnachtsfest über die Tür geheftet hatte. Sie hatte dort so schön ausgesehen, dass ich beschlossen hatte, sie auch nach Weihnachten nicht wieder abzunehmen.
In mir stritten sich Wut und Traurigkeit, und die Wut bekam die Oberhand. Ich würde es ihm schon heimzahlen. Ersticken sollte er an den nächsten Altpapierstapeln.

Da fiel mir auf, dass ich bei meinem Kontrollgang durch alle Zimmer nicht einen Schimmer von ihm gesehen hatte. Papetti war eindeutig nicht mehr in der Wohnung. Der Feigling! Er hatte mir frech ins Gesicht gesagt, dass er mich verstanden habe, als ich ihm verbot, meine Bücher, Comics und andere in den Regalen stehende oder liegende Dinge anzurühren. Wohl war! Das muss man sich mal vorstellen. Er hatte tatsächlich nichts, was lag oder in den Regalen stand, angerührt. Meine alten Comics waren bis auf die gestern verspeisten komplett vorhanden, wie ich schnell und zweifelsfrei feststellen konnte. Kein Buch fehlte, soweit ich das in meinem momentanen Zustand registrierte. So ein Frechling. Er hatte meine Worte auf die Goldwaage gelegt und ALLES ANDERE aufgefressen. Jawoll, gefressen. Eine andere Bezeichnung gab es dafür nicht. Ich konnte an einigen festen Kleberändern der ehemaligen Tapete seine Zahneindrücke sehen und auch einige Schnipsel wiesen diese belastenden eindeutigen Merkmale auf. Aber Papetti selbst war weg.

Ich stand noch eine ganze Weile tatenlos an der Stelle, an der ich den Zierstreifen vermisst hatte. Dann ging ich und hängte meinen Mantel in den Flur. Schwer trugen mich meine Beine durch die zerstörten Räume in die Küche, wo ich in einer Art Umnachtung einen Kaffee zubereitete, der mir gar nicht gut schmeckte. Das mag daran gelegen haben, dass ich statt der Milch Vanillesoße hineingeschüttet habe.
Mit diesem verpanschten Kaffee, der sehr gut zu meiner jetzigen Wohnung passte, setzte ich mich auf mein Sofa, auf die Decke, mit der ich in der Nacht zuvor den kleinen Papetti zugedeckt hatte und fing an, Tränen in meine Kaffeemischung zu gießen. Ja, ich war traurig. Und wütend. Traurig, weil ich den Kleinen irgendwie vermisste und wütend, weil ich ihn vermisste.

*

Die nächsten Tage hatte ich – wie du dir denken kannst – jede Menge Aufräumarbeit zu leisten. Außerdem musste ich viel telefonieren, um jemanden zu finden, der mir beim Neutapezieren helfen könnte. Und ich musste mich darum kümmern, mir einen neuen Kalender und einen Jahresplaner anzuschaffen. An diesem Punkt fiel es mir siedend heiß ein, dass mit dem Jahresplaner und dem bunten Streifen mit den wichtigen Terminen auch diese weg waren und ich gar nicht mehr wusste, was eigentlich Sache ist. Gut, ein paar Termine hatte ich im Kopf. Aber was war mit den anderen? Zum Beispiel mit wichtigen Arztterminen und auch mit schönen Terminen, wie den Geburtstagen von lieben Menschen? Alles weg!
Da war mein Kummer schon ziemlich groß.

Aber alles hat auch sein Gutes. Meine Wohnung bekam im Laufe der folgenden Wochen ein ganz neues Aussehen. Die frische Farbe und die neuen Tapeten strahlten, wie es der kommende Frühling tun würde, wenn er denn kommt. Aber nun haben wir erst Februar und es ist noch etwas hin. Es ist dieser Tage wieder ganz schön kalt geworden und es liegt auch wieder Schnee. Ich schaue jeden Abend aus dem Fenster, um zu sehen, wie das Wetter so ist und ob nicht vielleicht jemand draußen friert. Aber außer den Katzen, die miauen und sich gegenseitig besuchen, hält sich bei diesem Wetter niemand länger als notwendig draußen auf.

*

Die Wohnung ist nun ganz und gar wieder hergestellt. Ich habe ordentlich sauber gemacht und bin schon wieder dabei, Papier zu horten.
Gestern Abend, als ich auf meinem Sofa saß und ein wenig in einer spannenden Geschichte las, schlug die Terrassentür in der Küche auf. Ich hatte sie nicht ordentlich zugemacht. Ich war verärgert über die Störung und ging hin, um sie zu schließen, Als ich zurück kam, lag direkt vor dem Sofa ein Papierschnipsel mit den bekannten Zahnabdrücken. Es war wohl durch den Gegenzug irgendwo hergeweht, vermute ich. Ich hob es auf und wollte es gerade in den Papierkorb werden, als mir einfiel, dass ich nicht ein einziges Andenken an Papetti mehr habe. Also beschloss ich, es zu behalten und wohl zu verwahren. Ich besah es mir darauf hin näher und – es stand – zwar nicht mehr ganz vollständig, aber doch lesbar – ein Name darauf. Und ein Datum
Und da fiel mir es mir mit einem großen Schrecken ein. Es war dein Name und dein Geburtstagsdatum. Und weil der Papetti alle meine Kalender und Jahresplaner und Wichtige-Termine-Streifen so mir nichts dir nichts verputzt hatte, hatte ich den natürlich auch nicht mehr im Kopf.

Ich denke, du kannst deshalb verstehen, weshalb ich dir nicht rechtzeitig zum Geburtstag gratulieren konnte. Ich hielt es aber nun für wirklich wichtig, dir die ganze Geschichte zu erzählen und nicht irgendeine lapidare Ausrede zu erfinden. Was meinst du?
Deshalb ganz viele besonders liebe Geburtstagsgrüße und eine Kleinigkeit zum Freuen.
Ich hoffe, du hast einen wunderschönen Tag mit deinen Freundinnen und Freunden verbracht.

PS
Noch ein Tipp:
Bewahr die bunten Papiere deiner Geschenke gut auf. Man weiß ja nie…….

PPS
Und hier hab ich dir die Beweise aufgeklebt, die belastenden Beweise – Reste als Hinterlassenschaft von Papetti. Achte auf die Zahnabdrücke an den Rändern……

Margret Silvester

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