Charlie Chaplin und der Vollmond

Sir Charles Spencer Chaplin (1889–1977) gilt als einer der ersten Kinostars überhaupt und hat mit seiner Schauspielkunst und seinen Werken Filmgeschichte geschrieben. Er ist des Weiteren einer der wenigen Künstler, die den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm bewältigt haben.
Gerade durch die archetypische Bildsprache und den Umgang mit Symbolen in seinen Filmen ist es naheliegend, dass irgendwo der Mond eine Rolle spielen könnte. Wir haben vier Bezüge gefunden:
City Lights (1931)
Hier ist Chaplin einmal mehr in seiner Paraderolle des vagabundierenden Tramps zu sehen, der in Armut lebt, sich aber durch seine Pfiffigkeit und stets würdevolle Haltung immer wieder erfolgreich durchs Leben schlägt. In diesem Film verliebt sich der Tramp in ein blindes Blumenmädchen, das ihn durch eine Verwechslung für einen wohlhabenden Mann hält. Er versucht daraufhin das Bild aufrecht zu erhalten, was einige Herausforderungen mit sich bringt. In einer nächtlichen Szene rettet der Tramp einem betrunkenen Millionär das Leben, der im Begriff ist sich umzubringen und ihn daraufhin zum Freund erklärt. Hier ist im Hintergrund der Vollmond zu sehen. Theoretisch könnte es sich auch um eine Straßenlaterne handeln, es ist allerdings wahrscheinlicher, dass der Vollmond gemeint ist (abgesehen davon, dass es im Filmset sicherlich ein Scheinwerfer war).

Zum Ansehen der Szene bitte hier klicken:
https://youtu.be/TkF1we_DeCQ?t=672
(startet ab 11:11 Min.)
Man muss sich vor Augen halten, dass nächtliche Szenen in Filmen lange Zeit beleuchtungs- und kameratechnisch nicht leicht zu realisieren waren. Man bediente sich häufig der Methode „Day for Night“ [Tag als Nacht], in der man Sequenzen bei Tag drehte und dann entsprechende abdunkelte oder modifizierte. Das Ergebnis war visuell meist dennoch nicht eindeutig. So ist zu erklären, dass diese Szene mit einer Texttafel mit der Aufschrift „Night“ eingeleitet wird, obwohl der schwarze Nachthimmel, die Laterne und der Vollmond eigentlich klarstellen, dass es Nacht sein muss.
Der Vollmond erscheint hier übrigens erst ab 12:10 Min., obgleich die Szene bereits bei 11:19 Min. beginnt und er dort noch nicht zu sehen ist. Es handelt sich wohl um einen „Continuity Error“ [Anschlussfehler], was verwunderlich ist, da Chaplin als Perfektionist bekannt war.
Monsiuer Verdoux (1947)
In dieser schwarzen Komödie spielt Chaplin den Heiratsschwindler und Frauenmörder Henri Verdoux, der es auf das Geld von älteren, reichen Witwen abgesehen hat. Er gewinnt diese für sich mit seinem unwiderstehlichen Charme und seinem sprachlichen Talent, das ihn wahlweise seine Opfer umgarnen oder auch neue Ausreden und Geschichten erfinden lässt, um an das Geld zu kommen.

In einer Szene, in der im Begriff ist, mit der unsympathische und unentwegt nörgelnde Lydia Floray zu nächtigen (und diese zu ermorden, wie es die Handlung andeutet), steht er mit Blick auf den Vollmond am Fenster vor dem Schlafgemach und sinniert lyrisch, während sie schnöde im Hintergrund kommentiert:
Er: „What a night!“
Sie: „Yes, full moon.“
Er: „How beautiful, this pale Endymion hour.“
Sie: „What are you talking about?“
Er: „Endymion, my dear. The beautiful youth possessed by the moon.“
Sie: „Forget about him and get to bed.“
Er: „Yes, my dear … ‘Our feet were soft in flowers’ ¹ …“
[Er: „Was für eine Nacht!“
Sie: „Ja, Vollmond.“
Er: „Wie schön, diese blasse Endymion-Stunde.“
Sie: „Wovon sprichst du?“
Er: „Endymion, meine Liebe. Der schöne Jüngling, der vom Mond besessen ist.“
Sie: „Vergiss ihn und geh ins Bett.“
Er: „Ja, meine Liebe … ,Unsere Füße waren weich von Blumen’ ¹ …“]
Am nächsten Morgen zählt er das Geld und reist ab … Der Vollmond ist hier also stiller und einziger Zeuge eines Mordes im Mondschein geworden.
„The Moon Shines Bright on Charlie Chaplin“ (1915)
Während des 1. Weltkrieges (1914–1918) gab es in Großbritannien eine öffentliche Diskussion über den als Brite in Hollywood lebenden Chaplin, dem man mangelnden Patriotismus vorwarf. In dieser Zeit entstand ein Soldatenlied, in dem teils humorvoll, teils spöttisch über Chaplin gesungen wird und dabei der Mond erwähnt wird.
„The moon shines bright on Charlie Chaplin
His boots are cracking
For want of blacking
And his little baggy trousers
They want mending
Before we send him
To the Dardanelles.“
[„Der Mond scheint hell auf Charlie Chaplin
Seine Stiefel sind rissig
Weil sie nicht mehr geschwärzt sind
Und seine kleinen ausgebeulten Hosen
Müssen geflickt werden
Bevor wir ihn
Zu den Dardanellen schicken.“]
Es wird berichtet, dass Chaplin eher nicht amüsiert war über dieses Stück, sondern im Gegenteil, eher in Sorge, dass man ihn zum Militärdienst verpflichten könnte.
Modern Times (1936)
Es gibt noch eine weitere, eher heitere Verbindung zum Mond, die zur Popkultur führt. Es geht dabei um den Moonwalk, der durch Michael Jackson 1983 populär wurde, seine Wurzeln aber sicherlich davor hat. Chaplin spielt in diesem Film wiederum den Tramp, der in einer Szene als Kellner auftritt und dabei erstaunlich viele tänzerische Bewegungen und Figuren macht, die von Jackson später in ähnlicher Weise dargestellt wurden. Hier beispielhaft eine Gegenüberstellung:
Charlie Chaplin hat die Art und Weise, wie Geschichten im Film erzählt werden, entscheidend geprägt. Die Bildsprache seiner Werke ist bis heute zeitlos gültig. Vielleicht passt sie deshalb so gut zum Mond, der uns still und ohne Worte begleitet – wie der Tramp.
¹ Verdoux zitiert hier eine Zeile aus dem Gedicht „Endymion“ von John Keats von 1918. Endymion ist in der griechischen Mythologie der schöne und ewig jugendliche Liebhaber der Mondgöttin Selene.