Der Mond und das Ziehen, tief unten im Bauch …

Vor vielen vielen Sonnenumläufen erzählte meine Ururahne Aina in einem ihrer Traumgesichte dem Manne in ferner Zukunft von sich und das zu einem Zeitpunkte, da sie selber eine noch nicht erwachte Frau war:

„… heute bin ich noch ein schon großes Mädchen, was noch nicht alles von dem weiß, was Frauen wissen müssen, denn mein Mondblut hat noch nicht zu mir gesprochen. Wenn ich auch neugierig meinen Schwestern hinterher lauere, wenn sie stolz hinter ihrem Ritualbaum verschwinden – dorthin zu gehen ist mir noch immer nicht gestattet.
Aber bald muß es doch so weit sein. So mager wie Eriaa um die Hüften ist, bin ich schon lange nicht mehr. Auch schmerzen die Pickel auf der Brust manchmal unter dem Fell des Hemdes und es sticht und kratzt schon oben zwischen den Beinen und es zieht so eigenartig. Dort, wo Mutter sagt, daß da auch das Geheimnis des Lebens sei.
Erwachsenengeheimnisse – puuuh!“

Diese Worte wurde von Generation zu Generation in unserer Sippe weitergetragen und sie selber hat später beim Erzählen oftmals über diese kindliche Naivität gelacht.

In all den vergangenen Zeiten bis auf heute haben uns unsere weisen Frauen immer wieder durch das Ritual des Erde-segnens, des Fruchtbarkeits-Segens geführt und dieses in jeglichem Jahr wieder mit uns allen zusammen – Frauen wie auch die Männer. Wenn auch in heutiger Zeit die Sonnengöttin einen Vorrang genießt, so stellte sich das Fruchtbarkeitsritual doch immer wieder auf den Urgrund unseres weiblichen, universalen Wesens – unseres Verwobenseins mit dem Nachtgestirn, welches, mal voll, mal dunkel, wachsend und wieder vergehend, seine Runden am Sternenzelte zieht.

Wir fühlen die Kraft dieses Gestirnes in uns. Tief in uns spüren wir es. Die einen voll Unruhe und Schmerz, die anderen voller Freude und Gelassenheit und dieses ihr ganzes mittleres Leben lang. Die Zusammenhänge waren uns fremd und wir machten uns auch kaum Gedanken darum, denn dieses Geschehen nahm uns jeden Mon(d)nat wieder gefangen. Erst später, erst viel, viel später in der Zeit wird man die Zyklen verstehen, welche uns fruchtbar machen und empfänglich für die männliche Kraft. Zu meiner Zeit kamen die Kinder durch die Göttinnen und Götter in unseren Leib hinein ˆ der wirkliche Grund, meine späteren Freundinnen ˆ auch der war uns noch fremd.

Ich wollte euch aber von Ainas Fruchtbarkeitsritual erzählen.
Nachdem die Frauen vor der Aussaat der Körner die Erde mit hakenförmigen Stöcken aufgelockert hatten und danach die kleinen grauen, wunderbaren Schiffchen der Fruchtbarkeit in die weiche Erde drückten, danach ließ die weise Frau ihre segensreichen Sprüche für Wachstum und gute Ernte über die Äcker hinwegfliegen:

coorn unde fruuht     korn und nahrung
uuinde unde naaas unde sunna     winde und regen und sonne
nemeton nemeeaa     himmel – heiliger hain
uuerde volla riche     voller reichtum werde

Das ruft sie, wenn die Mondfrau hoch am Himmel steht und das ruft sie wieder, wenn die Sonnengöttin über uns am Himmel entlangzieht. Und alle die Frauen, welche ihren Mondfluß haben, die stehen über den Feldern und segnen diese mit dem roten Wasser des Lebens, welches aus ihnen herausströmt.

Wenn die Frauen also die Weihung der Felder vornehmen, stehen die Männer in weitem Kreise um sie herum und sie singen laut mit ihren tiefen Stimmen das Lob der Mütter und das Lob auf die Kräfte und die Stärke der großen Allmutter Sonne – denn es ist die Sonne, welche unsere Nahrung wachsen läßt und die den Jahreskreis immer wieder schließt und immer wieder öffnet – so, wie es die Erinnerungen und die Worte der Alten sagen:
Sonne – Mutter, wärmende Mutter allen Lebens – Spenderin der Güte und der Güter, der Freude und des Seins.

Mondin – Spenderin des Lichtes in der Dunkelheit, Hüterin unserer Träume und unserer Fruchtbarkeit.

So kommt Heiliges zu Heiligem, Leben zu Leben und alle Fruchtbarkeit kehrt zu sich selbst und, zum Segen aller, in sich zurück.

Ich werde nie verstehen, warum diese heiligen Handlungen in den Läufen der Zeit verkommen konnten und daß die Frauen, wenn der Mondfluß sich von ihnen löst, als unrein und unsauber betrachtet werden; daß sie sich bei einigen Völkern sogar absondern müssen von der Gemeinschaft.

Und mit der Verdrängung solcher uralter Sitten werden nach und nach auch die Weisheit und die Lehren der Frauen verdrängt, verächtlich gemacht und vielfach sogar verschüttet, so daß ihr in eurer Zeit oftmals nur durch Märchen und Sagen von der Kraft der Weiblichkeit und ihren Segnungen erfahren könnt.

So spricht auch die Neun-Zahl von unserem, weiblichen Leben selbst:

Die Neun, dreimal die Drei oder das Quadrat derer selbst. Auch eine heilige Zahl:

die Quadratur des Geheimnisses der Fragen und der Aufgaben der Märchen,
ein Drittel des Mondumlaufes,
ein Drittel des weiblichen Zyklusses,
Ende des einen und Beginn eines neuen Zyklusses,
Erinnerung an die Perioden des Seins,
an die Schwangerschaft, an das Gären des Blutes,
an die Mondphasen und an die Geschöpfe der Nacht,
an die Mondgöttinnen, die heute ihre Macht verloren zu haben scheinen,
da fast niemand sich um ihre Erweckung kümmert.

Die Neun führt Erinnerungen mit sich an den Umsturz der matriarchalischen Zustände hin zu beherrschenwollendem, kriegführendem, zerstörendem männlichem, patriarchalischem Denken und Handeln. Trauer klingt auf in den Wissenden und Sehenden beiderlei Geschlechtes, daß die Zeit der Mütterlichkeit, die mütterlich schützende Gesinnung, die schöpfende, erhaltende Liebe, die verstehende, sich an den Naturläufen orientierende und dort verhaftete Denk- und Handlungsweise vernichtet, verschüttet wurde und Platz machen mußte einer männlichen, vernünftigen?, gewalttätigen Denkweise, hervorgerufen auch durch deren egozentrische, ja, fast narzistische, in Abwehr und Verabscheuung alles Weiblichen gipfelnde (siehe die Kurie mit ihrer antiweiblichen, weiblich-feindlichen, dem Weibe gegenüber überängstlichen, fast homo- und auch pädophilen) Einstellung.
Eine Einstellung, die nicht mütterlich bewahrend, sondern in den Jahrtausenden sich bewiesen hat als zerstörend, kraftmeiernd, herrschend, beherrschenwollend, sich bewiesen hat als auch auf Streit und Vernichtung ausseiendes männliches Denken und Handeln – bis in unsere Tage, Stunden, Minuten und Sekunden hinein und wahrscheinlich auch noch weit über diese hinaus.
Und es täte die Rückerinnerung auf eine matriarchalische Gesinnung gut, ohne aber auf die Militanz zu reflektieren, welche beider Seiten wohl unwürdig ist. Verstehende aller Länder – vereinigt euch – auch im Geiste, vor allem in diesem.
Ja, Freundinnen in der Zukunft.

Wenn es auch ein weiter Bogen war, den ich hier gespannt habe, so kommen mir solche Gedanken stets in den Sinn, wenn ich den Mond betrachte, ich mich den Göttinnen der Nachtgestirne unterwerfe, dann, wenn ich das Ziehen verspüre – tief unten in meinem Bauch.

Euere Aina aus den vergangenen jahrhunderten.

ian-jonathan, der weiße schatten gesichtet hat

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